
Syrien: CNN und das falsche Opfer
Das Video mit dem Titel “CNN fängt den Moment ein, in dem ein Häftling befreit wird” eroberte das Netz. Doch bald kam heraus: Das vermeintliche Opfer war ein Mitstreiter Assads. Alexander Bühler berichtet über den Irrtum der Reporterin und seine Folgen.
Link zum WDR-Bericht: wdrmedien
ATMO CNN-Report
Eine verschlossene Zelle, ihre Begleiter schießen sie auf; Clarissa Ward, die CNN-Korrespondentin, ist in einem syrischen Gefängnis unterwegs, sie sucht nach dem verschwundenen amerikanischen Journalisten Austin Tice. Stattdessen, unter einem Bündel Lumpen, ein Syrer. Er trinkt hastig, klammert sich an Ward, sagt er sei seit drei Monaten in der Zelle; draußen im Gefängnishof blickt er fasziniert in die milchige Dezembersonne. Eine Sensation, der letzte syrische Gefangene!
Doch das ist leider nicht die Wahrheit. Kurz nach der Ausstrahlung des Clips melden sich erste Zweifler. Verify-Sy, syrische Faktenchecker, die ersten ihrer Art im neuen Syrien, melden sich. Es kommt ihnen merkwürdig vor, dass der „Gefangene“ so proper aussah, wohl genährt, einigermaßen sauber und gesund, mit einem guten Mantel bekleidet, ohne sichtbare Anzeichen von Folter. Bei der Recherche finden sie heraus, dass Adel Gharbal aus Homs, wie sich der Gefangene nannte, kein Rebell ist, kein unschuldig Verhafteter des Assad-Regimes. Sondern das Gegenteil davon, wie die Faktenchecker durch Interviews mit Menschen aus der syrischen Stadt Homs erfahren. Aus Sicherheitsgründen schützen sie die Identitäten und Stimmen der Zeugen.
Der Mann, Salama, ist ein Oberleutnant im Luftwaffengeheimdienst, der die Checkpoints des Regimes in Homs, in den Viertel Bayada und Khaldiya beaufsichtigte.
Wenn er in den Stadtvierteln unterwegs war, vermieden ihn die Leute, denn er versuchte Informanten zu rekrutieren. Wer ihm nicht zu Diensten war, den ließ er ihn anklagen. Wegen irgendeiner ausgedachten Strafsache. Salama ist ein Kriegsverbrecher.
Der vermeintliche Gefangener also in Wirklichkeit ein Täter, der von anderen Syrern Geld erpresste und auch Zivilisten ermordete? Den Aussagen zufolge, die Verify-Syr gesammelt hat, landete er im Gefängnis, weil er sich mit seinen Spießgesellen verstritt. Um Bestechungsgelder. Was ist also Clarissa Ward passiert? Hat sie auf der Jagd nach dem Scoop leichtsinnig gehandelt, wurde sie reingelegt? Und wenn ja, von wem? Tatsächlich ist das Terrain in Damaskus alles andere als leicht durchschaubar. Der Sicherheitsapparat von Assad war riesig, es gab allein 14 Geheimdienste, die mit mehreren Dienststellen – jeweils mit Gefängnis – in Damaskus vertreten waren. Und alle Bürokraten, die über diese Dinge Bescheid wussten, sind untergetaucht. Im Chaos des syrischen Neuanfangs jemanden zu finden, der verlässlich Auskunft geben kann, ist fast unmöglich.
Nasser Abdul Ghani:
Den hunderten von Zeugenaussagen zufolge, die wir bei Recht und Gerechtigkeit gesammelt haben, ist es so: Wenn die Wachen eine Zelle betraten, musstest du dich mit dem Gesicht an die Wand stellen, manchmal sogar schon, bevor die Wachen eintraten. Die Überlebenden dieser Haft werden als skelett-artig abgemagert beschrieben, schon nach wenigen Wochen. Das Verhalten des so genannten Häftlings war von Anfang an sehr merkwürdig, vor allem für jemanden, der schon drei Monate in Haft sein sollte. Das nicht bemerkt zu haben ist ein Fehler der Journalistin und der Redaktion bei CNN. Sie müssen die Fakten vor der Veröffentlichung prüfen. Journalistische Praktiken wie diese sind sehr problematisch.
Nasser Abdul Ghani, der bei der Menschenrechtsorganisation „Recht und Gerechtigkeit“ versucht, Verbrechen des Assad-Regimes aufzuklären, ist schier entsetzt. Über die Jahre haben seine Kollegen und er Millionen Zeugnisse für Verbrechen zusammengetragen – und die Jagd von CNN nach dem Scoop und die Falschmeldung untergräbt die Glaubwürdigkeit aller Aufklärer, sagt er. Immerhin gibt CNN nach einigen Tagen den peinlichen Irrtum zu, nach der Befreiung hätten sie den so genannten Gefangenen an den syrischen Roten Halbmond übergeben. Auch die Organisation habe dann auf Social Media ein Foto veröffentlicht, wie sie den „befreiten Gefangenen“ an seine Angehörigen vermittelt hätten. Seitdem fehlt jede Spur von ihm.
WDR 5 Töne, Texte, Bilder – 21.12.2024 04:18 Min
